Während die Niedrigzinsphase einen Immobilienboom bei Büros, Wohnhäusern, Hotels und sogar Logistikhallen ausgelöst hat, werden Einkaufszentren verschmäht. Der Onlinehandel hält vielerorts Kundschaft und Investoren fern. Neue Konzepte für mehr Erlebnis beim Einkaufen sollen den Weg aus der Sinnkrise bereiten.
Moderne Einkaufszentren, wie wir sie heute kennen, gibt es seit den 1950er Jahren. Mit dem Main-Taunus-Zentrum öffnete 1964 das erste deutsche Einkaufszentrum. Über Jahrzehnte liefen die Geschäfte gut. Einkaufszentren waren Shoppingerlebnis und Treffpunkt zugleich. Investoren hielten sie gern in ihren Portfolien. Das hat sich geändert. Mittlerweile gelten Shopping-Center bei vielen Investoren als Problem-Immobilien.
Ein Paradebeispiel im negativen Sinne ist das Einkaufszentrum Loop5 in Weiterstadt zwischen Frankfurt und Darmstadt. Als es vor zehn Jahren eröffnete, waren die Hoffnungen groß: Trotz der gerade durchlebten Finanzkrise waren 90 Prozent der Flächen vor der Eröffnung vermietet. Konsumstarke Besucher in großer Zahl zwischen Darmstadt, Frankfurt und Heidelberg erwartete das Center-Management. Heute rangiert das Einkaufszentrum auf Rang 237 von 259 im Shopping-Center Performance Report, einer Mieterbefragung. Dabei befindet sich der Handel hier zu Lande nicht wie häufig angenommen in einer Krise. Die Einzelhandelsumsätze in Deutschland stiegen 2019 sogar um rund 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Gut 11 Prozent entfallen allerdings auf den Onlinehandel, was vor allem am veränderten Einkaufsverhalten der Millennials liegt.
Wenn Center-Betreiber bei dieser Zielgruppe punkten und sich als Alternative zum stetig steigenden Onlinehandel etablieren wollen, müssen sie die Aufenthaltsqualität deutlich erhöhen. Shopping-Center-Betreiber suchen seit Jahren nach Zukunftskonzepten für die Konsumtempel. Mit Ideen wie Click & Collect sollen Onlinekäufer in die Zentren gelockt werden – online einkaufen, vor Ort abholen.
Das eigentliche Zauberwort, das darbenden Einkaufszentren neues Leben einhauchen soll, lautet jedoch „Retailtainment“. Den Begriff hat der US-amerikanische Soziologe George Ritzer 1999 geprägt. Damals schlitterten einige Einkaufszentren in den USA in eine Krise. Der Begriff Retailtainment impliziert eine Mischung aus Handel (Retail) und Unterhaltung (Entertainment).
Und damit wären wir wieder beim Paradebeispiel Loop5, welches exakt nach diesem Ansatz modernisiert werden soll. Von 40 Erlebnisstationen ist die Rede in einer Mitteilung, eine davon sogar mit über 20 Metern Höhe. Was das genau heißt, wollen Betreiber und Eigentümer noch nicht verraten. Der Lokalpresse zufolge könnte aber künftig eine Achterbahn über das Shopping-Center-Dach rattern. Deutsche Betreiber wollen also neue Wege gehen und Erlebnis in ihre Einkaufszentren bringen. Dafür muss viel investiert werden.
So wurde bereits das Einkaufszentrum MyZeil in Frankfurt jüngst für rund 100 Millionen Euro umgebaut. Um mehr Kundschaft in die oberen Etagen zu locken, wurde die vierte Etage zur Gastrowelt „Foodtopia“ mit verschiedenen Imbiss- und Restaurantkonzepten umgewandelt. Daneben gibt es ein nun Premium-Kino, das ebenfalls mehr Besucher anlocken soll. Offenbar mit Erfolg, wie Auswertungen zeigen: Seit der Neueröffnung im April 2019 sind 30 Prozent mehr Besucher gekommen. Die Bedeutung von Gastronomie nimmt also ebenfalls zu: Deren Flächenanteil lag früher bei etwa fünf Prozent, heute geht er oftmals in den zweistelligen Bereich.
Experimentiert wird aber auch mit gewagteren Ideen, wie das Bremer Einkaufszentrum Waterfront zeigt. Hier wurde mit Jump House ein Trampolinhallen-Anbieter an das Center angebunden. Abseits solcher Retailtainment-Angebote machen sich auch neue Mieter in den Shoppingtempeln breit, beispielsweise Tesla oder Ford, die den direkten Kundenzugang nutzen, um ihre neusten Modelle ausstellen.
Auch Coworking-Anbieter gehören mittlerweile zur Mieterschaft. Auf dem Parkdeck des in Berlin gelegenen Ring Centers hat sogar ein Hotel eröffnet – mit 152 Zimmern. Noch weiter geht das Ausland, beispielsweise die USA. Mit Konzepten wie Kidzania, eine für Kinder nachgebaute Stadt, in der sie mit Rollenspielen die Welt – und Berufe – der Erwachsenen erkunden können. Derart hochfliegend wie bei den milliardenteuren Zentren in den USA sind die Pläne in Deutschland nicht. Hierzulande wäre bereits die erste Achterbahn auf dem Shopping-Zentrum Loop5 eine echte Sensation.